2018 Kunstverein Coburg

„Zweigestirn“

Kerstin Alexander: Malerei
Winfried Alexander: Plastik, Grafik, Malerei

24.02.2018 bis 15.04.2018

Kunstverein Coburg
Park 4a
96450 Coburg
Tel. 09561 25808
kunstverein-coburg.de
Zufahrt und Parken über Leopoldstraße

Laudatio:
Dr. phil. habil. Ingo Uhlig, Halle/Saale

Musik:
Alexander Seher, Gitarre, Halle/Saale

Zwei Künstler, eine Frau, ein Mann, zwei separate eigenständige Welten, verschiedene Erfahrungen und verschiedene Träume und so viel Gemeinsames! Für den Kunstverein Coburg öffnen sie ihre thematischen Räume, persönlichen Galaxien, angefüllt mit unmittelbar Gesehenem und tatsächlich Erlebtem, gesampelten Sujets des Hier und Heute…und der unbedingten Einladung zur Selbstreflexion.

Das Zusammenspiel von meisterlicher Grafik und malerischer Innovation, farblicher Delikatesse und plastischem Experiment, wurde 2017 mit dem Kunstpreis „power partnership“ der Jenacon  Foundation geehrt.

Laudatio von Dr. phil. habil. Ingo Uhlig, Halle/Saale

Vernissage-Text anlässlich der Ausstellung ‚Zweigestirn’ von Kerstin und Winfried Alexander

Kunstverein Coburg, Februar 2018

Das schöne Wort Zweigestirn gibt dieser Ausstellung und diesem Nachmittag im Spätfebruar den Titel. Zweigestirn – mit diesem Wort holt man etwas auf die Erde. Der Sprache gelingt dieses Kunststück: Die unvorstellbaren Größen, Geschwindigkeiten und Energien draußen im Kosmos werden Zeichen, die man im Symbolischen, in Form von Sprache, weiterreichen kann: Symbolisierte Sterne, Sonnen, Gestirne.

Das Gestirn war ursprünglich die Bezeichnung für Sternbilder, also für Gruppen und Konstellationen von Himmelskörpern, bevor das Wort auch für einzelne Erscheinungen verwendet wurde. Das Siebengestirn etwa meint die Plejaden, einen Sternhaufen, zu sehen im Sternbild Stier, aus dem die sieben Sterne hell hervortreten. Entfernung zur Erde: 444 Lichtjahre. Gerade jetzt, Ende Februar, verblassen sie allmählich. Sie sind nur im Winter sichtbar. Ihr astronomisches Verschwinden zeigte in den irdischen Gefilden und Landschaften traditionell den Frühling an. In der Antike standen die sieben Sterne der Plejaden für sieben Nymphen: Der Makrokosmos wurde schon hier im Mikrokosmos eines Kollektivs, einer Frauengruppe, eingefangen.

Noch ein weiteres Gestirn (es wird noch poetischer): Das Regengestirn, die Hyaden, Entfernung zur Erde: 151,1 Lichtjahre. Natürlich kommt auch dieser kosmische Regen aus der Mythologie: Er meint die Tränen der Hyaden-Schwestern, die, vergossen im Leid um den auf der Jagd zu Tode gekommenen Bruder, nun zur Erde stürzen. Das Regengestirn.

Es steckt also ein Stück kosmischer Faszination, ein Bild des Makrokosmos, in diesem Titel. Kerstin und Winfried Alexanders Ausstellung hat anscheinend auf irgendeine Art und Weise Teil an dem phantasiereichen, symbolischen und ästhetischen Transfer zwischen Erdoberfläche und Firmament; ein Transfer, der wahrscheinlich so alt ist wie der Mensch und seine Sprachen. In den nächsten Minuten möchte ich mir über diese stellaren oder eben kosmischen Gesten der Ausstellung ein paar Gedanken machen und damit den großen Zusammenhang dieser beiden Werke der Halleschen Künstler von einer Flanke, von der Seite her streifen.

Der erste Bezug auf Makrokosmisches liegt möglicher Weise schon im kuratorischen Konzept, in der Reflexion über das Ausstellen, die Kerstin und Winfried Alexander vorgenommen haben. Interessant ist dabei zunächst, dass historisch gesehen das Ausstellen ohne überirdischen Bezug gar nicht denkbar ist: Es findet seine Anfänge in der religiösen Schau heiliger, auratischer Dinge; zum Beispiel Reliquien, also Teile, Reste, Stücke himmlischer Gestalten, die in Schreinen und unter Kirchenkuppeln verwahrt werden. In der Renaissance und natürlich im Barock wurde es dann jenes Begriffspaar von Mikrokosmos und Makrokosmos, das die Entwicklung neuer kuratorischer Konzepte, neuer Ausstellungsideen und -räume anleitete: Ich meine die Wunderkammern, Studiolos und Kabinette, sie waren die mikrokosmische Widergabe der göttlichen Schöpfung, des Makrokosmos. Die Bereiche der Schöpfung und die Sektionen der Sammlung, die zumeist in einem Raum untergebracht waren, standen im Gleichklang. Auf beiden Ebenen ließ sich so etwa die Unterscheidung in drei Reiche vornehmen, die ursprünglich von Aristoteles stammt: Pflanzen, Tiere, Mineralien. Etwas schwierig unterzubringen waren hier nur die Muscheln und Korallen, die Conchilien, die eine eigene Klasse bildeten. – Kleine Klammer: Sollte Sie ihr Weg einmal Richtung Norden und dabei vielleicht nach Halle führen, so könnten Sie dort eine der beiden weltweit noch erhaltenen Wunderkammern betreten. Ich meine das Kunst- und Naturalienkabinett der Franckeschen Stiftungen. Ein Raum mit Dingen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Es findet sich noch nahezu alles: Um die 3000 Objekte (wenn man die Insekten und das Kleingetier mitzählt), die originalen Schränke und jene Ordnung der Dinge, die das Bild der göttlichen Schöpfung in ihrer Gänze einzufangen suchte. Der Makrokosmos war in dieser Ausstellung und zwischen den Dingen, Setzkästen, Schränken und Hängeexponaten präsent. Dem entsprach umgekehrt die großmaßstäbliche barocke Phantasie, dass die reale Welt so etwas wie der Setzkasten und das Sammlungsvergnügen Gottes ist: ein Theatrum Mundi.

Die Werkschau von Kerstin und Winfried Alexander zitiert, vielfach gebrochen durch die lange Erstreckung der Zeiten und historischen Epochen, diese barocke Idee der Schau. Dies zeigt sich zunächst in der Fülle und im Ausschweifen des Werkzusammenhangs. Viele große Sammlungen entwickeln wahrscheinlich irgendwann diese Tendenz: Je größer sie werden, umso mehr werden sie zu einer eigenen Welt, und genau dieser Dynamik wohnen wir hier bei. Der verzweigte Lebens- und Werkzusammenhang zweier Künstler an einem Ort: Reisen, Landschaften, Gespräche, Geschlechter, Kinder, Traum, Gärten…

Aber auch in der Art und Weise, in der die Künstler die Räume dieses Hauses einsetzen: Die offene Anlage der Themenräume, die vielfachen Bezüge zwischen den Werken und Formaten, die Gleichberechtigung und Gleichzeitigkeit ihres Erscheinens, schließlich die Opulenz der Bildwerke und Objekte und natürlich (und keineswegs zuletzt) eine Sympathie für Kuriosität und Skurriles, die sich etwa in den Betongüssen und Materialcollagen ausgedrückt findet. In der Ordnung und der Intention der Ausstellung werden einige lose barocke Markierungen gesetzt. Und das wäre ein erstes Angebot, wie man diese Räume erkunden könnte: Als Künstler-Kosmos, als Ganzes, voll, verspielt und verschwenderisch. Die Abbildung zweier Lebenswelten in einem ästhetischen Weltentwurf, ein neobarockes Gestirn.

 

Aber das wäre nur die eine Hälfte: Es gibt noch ein anderes kosmisches Motiv, und das ist energetisch, rotierend und – man könnte sage – windig.

Der augenfälligste und zentrale Unterschied zu historischen Kabinetten liegt darin, dass die Dinge hier in eine kraftvolle Rotation geraten sind. Während die alten Sammlungen immer etwas Statisches hatten, haben mussten, denn schließlich ging es darum, die Ewigkeit und Konstanz der Schöpfung zu präsentieren, darum, einen Gleichklang mit der göttlichen Schöpfung zu erzielen, finden wir hier eine unerhörte Dynamik in allen Räumen. Die Gestirne, der Kosmos, sind in Fahrt geraten und fliehen in viele Richtungen, einschließlich derjenigen des Betrachters. Das Kosmische ist nicht ewig, sondern in unaufhörlicher Bewegung und Veränderung begriffen: In Winfried Alexanders Arbeiten kämpfen oft Räume und Größenverhältnisse gegeneinander, oft findet das Auge rotierende Elemente, Schreiben, Teller, Schraubungen und abstrakte runde Flächen in den Bildern. In Kerstin Alexanders Arbeiten zerfließen die Formen in hochdynamischen Bildräumen. Bei beiden wird die Abstraktion eingesetzt, um Kräfte sichtbar zu machen. Es ist nicht der alte christliche Kosmos, sondern dessen moderne Variation, für die Paul Klee den schönen Begriff Kosmogenese geprägt hat. Es sind die Kräfte, die hier die Form dominieren, sie hervorbringen, variieren und wieder auflösen. Unter diesen Bedingungen werden nahezu alle Objekte zu fraglichen und flüchtigen Erscheinungen; zu dominant, zu präsent sind die Kräfte der Farbe in den Bildern, zu undiszipliniert sind die Linien, zu vital die Materialien.

 

Der Kosmos, in dem dieses Zweigestirn erscheint, ist nicht als Ordnung, sondern als Kraft und Energie zu denken. Er rotiert. An dieser Stelle und in diesem Zusammenhang muss man Coburg und seinem Kunstverein zu diesem offenen Haus beglückwünschen, dessen Dach das Licht eintreten lässt, das offen bleibt zu den Gestirnen. Man sollte den Einbau von Oberlichtern in die Bauvorschriften unserer Gegenwart aufnehmen: Kein Norm- und Eigenheimbau sollte ohne diese kosmische Lichtung entstehen dürfen, als Fluchtmöglichkeit zumindest für den Blick. Zudem ist das Gebäude, soweit ich recherchieren konnte, eine alte Voliere, ein Vogelhaus, angelegt Anfang des 20. Jahrhunderts von einem Vogelzüchter und Vogelnarren: Ferdinand I., Zar von Bulgarien, der hier in Coburg lebte. Ein Raum gemacht für Luft- und Windtiere, deren Flügelschlag immer die Weite und eine antigrave Leichtigkeit herbeiruft. Nach den Vögeln nun die Kunst – beide Male ist es der Schauplatz einer ganz eigentümlichen, energiereichen Begegnung.

Vögel, Flügel, Schwingen, Rotoren – das sind die letzten Stichworte, die ich noch aufgreifen möchte und sie führen in jene Landschaften von Kerstin Alexander, die am deutlichsten den Index unserer Gegenwart tragen. Ich meine jene Arbeiten, in welchen Energie direkt und in Form von Artefakten verhandelt wird – also die Ansichten von Windrädern und Windparks. Etwa das energetische Großformat „Windfelder“ von 2016. Windräder, so Kerstin Alexander in einem ihrer Katalogtexte, sind weder gut noch schlecht, womit eine oft überstrapazierte Diskussion schon einmal bei Seite gelegt ist. Nicht das Pro und Kontra Windenergie wird hier verhandelt, es geht nicht um widerstreitende Narrative. Es ist keine narrative Malerei.

Was aber konstatiert wird, ist, dass mit den Windrädern und der Energiewende eine Veränderung des Raumes einhergeht.

So erfährt der Bildraum in „Windfelder“ selbst eine energetische Aufladung, man blickt auf eine Intensivierung thermischer und solarer Kräfte, die die Landschaft ergriffen haben. Beim Betrachten des Bildes fällt rasch auf, wie der Raum regelrecht nach vorn geklappt wird: Der Horizont krümmt sich auf den Betrachter zu, die Cumulus Wolken quellen und wölben sich ins Bild und selbst die Erdoberfläche türmt sich in einem Faltenwurf dem Betrachter entgegen. Aus der rechten oberen Bildmitte weht dabei ein Zug heller und leuchtender Farbe in den Vordergrund und wechselt vom kühlen Blau ein wärmeres Gelb-Orange. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Ikonographie der technischen Anlagen: Die Windräder selbst gleichen eher verwehten oder fliegenden Halmen, zwar bleiben sie lotrecht, verlieren aber in den fliehenden Farbgefügen und Lichtzonen ihre Grundlinie und ihr Fundament.

Der Raum hat sich verändert und verändert sich weiter mit den neuen Energien, er ist selbst intensiv und energetisch geworden: Selbst an schlecht isolierten Hochwintertagen wie heute, durchzogen von einem Hauch kosmischer Kälte, setzen der Wind und damit die Sonne da draußen immense Energien frei, die auch durch unsere Netzte und Räume fließen.

­– Und hier drin unter jenem Oberlicht, das der Zar von Bulgarien seinen Vögeln bauen ließ? Hier drin haben wir das Vergnügen einem Lichtbogen zuzusehen, der zwischen zwei künstlerischen Werken entstanden ist.